Morgenjournal, 21.8.2013
Wenige Wochen vor der Nationalratswahl dafür einzutreten, das Pensionsantrittsalter für Frauen anzuheben, macht keine gute Stimmung bei den Wählerinnen: ÖVP-Chef Michael Spindelegger hat das schnell als Zeitungsente abgetan – aber auf dem Europäischen Forum Alpbach halten sich die Experten nicht an Wahltermine und fordern die rasche Angleichung des Pensionsantrittsalters von Frauen an das der Männer.
Barbara Daser “Risiko der Altersarmut größer”
Dass Frauen gesetzlich früher in Pension gehen können, werde mitunter als Privileg gesehen, de facto sei es Diskriminierung, meinte der Sozialforscher Bernd Marin bei einem Pressegespräch am Rande des Europäischen Forum Alpbach: “Das Risiko der Altersarmut ist wesentlich größer. Wir schätzen, dass je nach Land bis zu einem Viertel der geringeren Pensionseinkommen von Frauen allein auf das Konto des früheren Pensionsantritts geht.” Zweites Argument Marins: Da Frauen früher zu arbeiten aufhören, investieren Firmen weniger in ihre berufliche Weiterbildung und bringen damit Frauen um berufliche Aufstiegschancen. Beispiele Italien und Polen
Marin und ÖVP-Politiker Franz Fischler, seit vergangenem Jahr Präsident des Europäischen Forum Alpbach, haben zwei Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Ex-Politikerinnen geladen, die für eine rasche Anpassung des Pensionsantrittsalters argumentieren. So meint Agnieszka Chlon-Dominczak, ehemals Unterstaatssekretärin im polnischen Sozialministerium: “Frauen sind gut ausgebildet, leben länger, sind meist gesünder – es sei schlichtweg Vergeudung, wenn Frauen früher in Pension gehen.” In Polen wird das Pensionsantrittsalter auf 67 Jahre angeglichen – für Männer bis 2020, für Frauen bis 2040.
Deutlich weniger Zeit hat Italien: Bis 2018 wird das Pensionsantrittsalter für Frauen wie Männer auf 66 Jahre erhöht. Diese Reform zog Elsa Fornero, bis April Italiens Arbeitsministerin, durch. Sie argumentiert: Wenn Frauen früher in Pension gehen, versuchten Staaten damit Diskriminierung am Arbeitsmarkt zu kompensieren. Zeitgemäß wäre aus Sicht der ehemaligen italienischen Sozialministerin, Frauen das gesamte Arbeitsleben gleiche Chancen zu. In Italien ist die Reform übrigens heftig kritisiert worden – vor einem Jahr gingen in Rom zehntausende auf die Straße, um dagegen zu protestieren.
Keine “Radikalkur”
Und was lehren die Beispiele Italien und Polen für die entflammte Debatte in Österreich? Darauf angesprochen, spricht sich der österreichische Sozialexperte Bernd Marin gegen eine “Radikalkur” binnen kürzester Zeit wie in Italien aus; und zwischen dieser und dem Fahrplan für Österreich – Angleichung bis zum Jahr 2033 – gebe es aus seiner Sicht “Kompromiss-Spielraum”, so der Professor diplomatisch.
21.08.2013